Tiertherapie – Wenn Tiere zu Ko-Therapeuten werden
[ aus ZAK 32 / April 2010]
Die Augen sind offen, doch der Blick geht ins Leere. Ärzte beschreiben einen solchen Zustand mit „Wachkoma“. Der Begriff ist scheinbar ein Widerspruch in sich: Die Betroffenen wirken wach, reagieren aber nicht auf Ansprache. Tieren gelingt es dagegen, mit solchen Patienten in Kontakt zu treten. Im Behandlungszentrum Vogtareuth setzt man deshalb in der Therapie von Kindern mit schweren neurologischen Erkrankungen wie „Wachkoma“ zusätzlich auf Vierbeiner – auf Hunde.
Welche Rolle spielt der Hund in der Therapie?
Die Ziele der „tiergestützten Therapie“ unterscheiden sich dabei nicht von anderen Behandlungskonzepten und für jedes Kind werden diese vorab individuell festgelegt. Während Physio-, Ergotherapeuten bzw. Logopäden die Therapie machen, ist der Hund mit Hundeführer zugegen. Die Vierbeiner versuchen dabei, auf Basis ihrer Ausbildung mit den Wachkomapatienten in Kontakt zu treten. Erste Bewegungsansätze unterstützt der Therapeut, indem er beispielsweise
beim Streicheln die gelähmte Hand des Kindes führt. Ob es den Koma-Patienten nach der Therapie besser geht, erkennen die Ärzte und Therapeuten an einer langsameren Herzfrequenz und einer nach lassenden Muskelspannung. Wenn das schwerkranke Kind das Tier anschaut und mit den Augen verfolgt, können das erste Anzeichen sein, dass der kleine Patient aufwacht.
Wenn der Therapeut wiehert
Therapiepferd Merlin hat im Behandlungszentrum Vogtareuth seine eigene Webseite und spielt auch sonst eine wichtige Rolle in der Behandlung: Ziel der Arbeit mit Therapiepferden ist es, Bewegungsabläufe und wichtige motorische Fähigkeiten bei neurologisch kranken Kindern zu verbessern. Pferde sind dafür prädestiniert, denn sie erzeugen im Schrittgang 80 bis 120gleichförmige Bewegungsimpulse pro Minute, die wiederum motorische Reaktionen beim Reiter auslösen. Das Ergebnis ist ein sogenannter „Bewegungsdialog“ – mit positiven Effekten für die Patienten. So verbessert sich beispielsweise der Gleichgewichtssinn; bei Kindern mit spastischen Lähmungen nimmt die Muskelspanung ab. Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit der Hippotherapie, die als Krankengymnastik anerkannt und in die Behandlungskonzepte der Klinik integriert ist.
Bei welchen Erkrankungen kommen Tiere zum Einsatz?
Für viele Menschen sind Tiere treue Begleiter – im Behandlungszentrum Vogtareuth werden sie zu „Ko-Therapeuten“. Die Vierbeiner kommen gerade dort zum Einsatz, wo Kinder schwere neurologische Schäden erlitten haben, nach einem Unfall beispielsweise im Wachkoma liegen und für andere Therapien nur schwer erreichbar sind. In Vogtareuth hat man sehr viel Erfahrung mit der tiergestützten Therapie gesammelt und diese auch wissenschaftlich begleitet. So hat die Klinik weltweit die meisten Kinder im Wachkoma unter Einbeziehung von Hunden therapiert und damit Erfolge erzielt. Tiere können die Therapie unterstützen, wenn beispielsweise eine Bewegungsstörung vorliegt oder Kinder unter körperlichen bzw. geistigen Behinderungen, Bewegungsund psychischen Störungen (vom „Zappelphilipp“-Syndrom bis zu Autismus) leiden.
Wenn Kinder wieder lächeln
Welche Erfolge man beim Einsatz von Vierbeinern erzielen kann, zeigt sich am Beispiel der kleinen Thais. Die Vierjährige wurde 2006 im Behandlungszentrum behandelt. Als sie zur Rehabilitation nach Vogtareuth kam, lag das kleine Mädchen nach einer schweren Hirnentzündung im Wachkoma. Die Ärzte operierten sie am Gehirn, dazu kamen weitere medizinische Therapien, aber auch andere Behandlungsansätze wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie oder Musiktherapie. Das erste Lächeln zeigte das Kind in der Therapie mit Hund Ronja. Wenige Wochen später konnte Thais wieder alleine essen und fing an zu laufen. Die Angebote der tiergestützten Therapie in Vogtareuth gehen auf eine
persönliche Initiative von Dr. med. Gerhard Kluger, Leitender Arzt der Klinik für Neuropädiatrie und Neurologische Rehabilitation, zurück, um gerade für die schwerstkranken Kinder ein zusätzliches Angebot zu haben, das für die Familien sehr positiv besetzt ist. Die Therapie wird über Spendengelder finanziert.