Vagusnerv-Stimulator

[aus ZAK 21] In der Epilepsietherapie standen bislang die folgenden bewährten Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung:

Medikamentöse Therapie;
Hirnoperation: Epilepsiechirurgischer Eingriff.

Medikamentöse Therapie:

Mit den „klassischen“ und / oder erst in den letzten Jahren entwickelten „neuen“ Antiepileptika.Bei optimaler Einstellung und regelmäßiger Einnahme kann bei ca. 70% der Patienten eine befriedigende Anfallskontrolle erzielt werden. Bei 30 % der Patienten ist der Therapieerfolg zu eingeschränkt (sog. Therapieresistenz)

Hirnoperation: Epilepsiechirurgischer Eingriff.
Bei etwa 10-20% der Patienten, die nicht ausreichend von den Medikamenten profitieren, kann durch eine umfangreiche diagnostische Abklärung dasjenige Gebiet im Gehirn identifiziert werden, von dem die epileptischen Anfälle mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgehen. Wenn diese Hirnregion durch einen epilepsiechirurgischen Eingriff entfernt werden kann, haben diese Patienten gute Chancen auf eine deutlich verbesserte Anfallssituation, die überwiegende Zahl der operierten Patienten wird sogar anfallsfrei. Bei einzelnen Patienten wird durch einen andersartigen Eingriff, die sogenannte Callosotomie, versucht, die Anfallsschwere zu reduzieren, z.B. Sturzanfälle zu verhindern.
Viele Patienten profitieren einerseits nicht hinreichend von den Medikamenten, können aber andererseits aus den verschiedensten Gründen auch nicht operiert werden. Für diese Patienten steht nun mit der Vagusnerv-Stimulation eine neue Behandlungsalternative zur Verfügung, die im folgenden erläutert werden soll.
Beschreibung des Vagusnerv – Stimulators und seiner Wirkweise

Was ist der Vagusnerv?
Insgesamt verlassen 12 Hirnnerven – jeweils als Paar, links und rechts – das Gehirn.Der Vagusnerv ist der 10. Hirnnerv. Er zieht, ausgehend von weit hinten gelegenen Hirnregionen links und rechts in der Nähe der Schlagader seitlich durch den Hals und verbindet viele Organe –Kehlkopf, Herz, Lunge, Magen, Darm u.a. – mit dem Gehirn.  Gemeinsam mit dem Sympathicus bildet der Vagusnerv, der wesentliche Teil des sogenannten Parasympathicus, das vegetative Nervensystem. Der Nerv hat am Hals einen Durchmesser von ca. 2-3 mm. Während der rechte Vagusnerv starke Verbindungen zu den Herzvorhöfen aufweist und so Einfluss auf den Herzschlag und den Herzrhythmus nimmt, ist der linke Vagusnerv stärker mit den Herzkammern verbunden.
Um von vornherein Herzrhythmusstörungen zu vermeiden, wird daher bei der Vagusnerv – Stimulation prinzipiell immer nur der linke Vagusnerv gereizt.

Was ist  die Vagusnerv  Stimulation?
Bei der neuen Behandlungsform wird der linke Vagusnerv in regelmäßigen Abständen über feine Elektroden immer wieder elektrisch gereizt. Die Impulse werden zum Gehirn weitergeleitet und verändern dort die Aktivität der Nervenzellen. Man geht davon aus, dass hierdurch diejenigen Prozesse im Gehirn positiv beeinflusst werden, die für die Entstehung von Anfällen verantwortlich sind – ohne am Gehirn selbst operieren zu müssen.

Wie wird die Vagusnerv Stimulation durchgeführt?
Da die Vagusnerv – Stimulation, – genau wie die Medikamenteneinnahme – dauerhaft durchgeführt werden muss, ist es erforderlich, den Stimulator im Rahmen einer Operation unter Vollnarkose zu implantieren. Das Gerät – der richtige Name lautet „Neurocybernetic Prosthesis“ (NCP) – wird von der amerikanischen Firma Cyberonics Inc. (Webster / Texas) hergestellt. Es besteht aus einem „Schrittmacher“ (Pulsgenerator), der etwa so groß wie eine Taschenuhr ist, sowie einem isolierten Kabel, das in sehr kleinen, spiralförmigen Platinelektroden endet. Während der Pulsgenerator unterhalb des linken Schlüsselbeins unter die Haut der Brustwand implantiert wird (wie ein Herzschrittmacher), wird die Elektrode im Halsbereich um den linken Vagusnerv gelegt und befestigt. Das Kabel wird unter der Haut bis zum Schrittmacher geführt und mit dem Gerät verbunden. Noch während der Operation wird das Gerät eingeschaltet und auf seine Funktionstüchtigkeit hin geprüft. Die Operation dauert ca. 1 bis 1,5 Stunden. Der Patient wird meistens am Vortag stationär aufgenommen und kann häufig schon 1 bis 2 Tage nach der Implantation entlassen werden. Einige Zentren führen die Implantation bereits ambulant an einem Tag durch. Die elektrische Reizung erfolgt in regelmäßigen Abständen: Bei den meisten Patienten wird 30 Sekunden lang stimuliert, dann folgt eine fünfminütige Pause.  Die Stromstärke, mit welcher der Vagusnerv gereizt wird, wird in den ersten Wochen nach und nach erhöht. Später variiert sie von Patient zu Patient zwischen 0,25 mA und 3,5 mA, je nach Wirksamkeit und individueller Verträglichkeit. Meistens gelingt es, innerhalb den ersten zwei Monaten die für den Patienten optimale Einstellung herauszufinden. Die gesamte Steuerung des Gerätes nimmt der Arzt computergestützt mit Hilfe eines Senders vor, der auf die Brust über den implantierten Pulsgenerator gelegt wird. Der Computer kann Informationen vom Pulsgenerator empfangen und dort hinsenden. So kann bei jeder ambulanten Untersuchung die Einstellung des Gerätes von außen überprüft und gegebenenfalls verändert werden.

Kann ich als Patient den Vagusnerv-Stimulator beeinflussen?
Der Patient erhält einen kleinen Magneten, mit dem er das Gerät selbst beeinflussen kann.
Zusätzliche Reizphasen:
Wird der Magnet für wenige Sekunden über den Pulsgenerator gehalten und dann wieder entfernt, so wird eine zusätzliche Reizphase ausgelöst. Eine Reihe von Patienten können auf diese Weise einen nahenden Anfall noch stoppen oder einen begonnen Anfall verkürzen bzw. in seiner Schwere abmildern. Voraussetzung ist hierbei allerdings, dass der Patient rechtzeitig vorher merkt, dass ein Anfall naht. Oft können Angehörige hilfreich sein. Bisher liegen leider noch wenige Erfahrungen vor, wie viele und welche Patienten tatsächlich von dieser Möglichkeiten profitieren.

Abschalten des Gerätes:
Wird der Magnet dauerhaft (länger als zwei Minuten) über dem Pulsgenerator auf der Brust befestigt (z.B. mit einem Pflaster o.ä.), so wird keine weitere Reizung des Vagusnerv – Stimulators mehr ausgelöst, das Gerät ist sozusagen ausgeschaltet. Sobald der Magnet entfernt wird, springt der Pulsgenerator wieder an und löst wieder die programmierten Reizphasen aus. Das Abschalten des Gerätes kann bei manchen Untersuchungen sinnvoll sein (Magnetresonanztomographie). In der Regel sollte das Gerät dann aber nicht mit dem Handmagneten, sondern durch den behandelnden Arzt mit Hilfe des Programmiercomputers abgeschaltet werden, um eine ungewollte Umprogrammierung der Stimulationswerte zu vermeiden.Nebenwirkungen
Einige milde Nebenwirkungen werden regelmäßig von Patienten berichtet.
Diese Nebenwirkungen treten nur in den Stimulationsphasen auf.

Häufig berichtet werden:

  • Heiserkeit (in den ersten Monaten nach Implantation häufig)
  • leichte Veränderung der Stimmhöhe (in den ersten Monaten häufig)
  • Kribbelgefühl im Halsbereich (in den ersten Monaten nach Implantation häufig)
  • Husten (selten)
  • leichte Schluckbeschwerden (selten)
  • Brust- oder Herzschmerzen (sehr selten)
  • leichte Atemprobleme bei Belastung (sehr selten)
  • Kehlkopfdruck
  • Gewichtsabnahme.

Der Vagusnerv wird durch die Elektroden sowie die dauerhafte elektrische Reizung nicht verletzt. Auch die operative Entfernung des Schrittmachers ist ggf. sicher durchführbar. Die Kabel verwachsen im Laufe der Zeit mit dem Gewebe und verbleiben daher bei einer Explantation des Vagusnerv – Stimulators im Körper.
Insgesamt gesehen, ist die Vagusnerv – Stimulation ein sicheres Behandlungsverfahren.
Wie oft muss nach der Implantation eine ambulante Kontrolle durchgeführt werden?
Der Patient wird vom behandelnden Arzt unserer Klinik nach Absprache in den für ihn erforderlichen Zeitabständen zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit und zur Einstellung neuer Stimulationsparameter ambulant einbestellt.
Wie lange läuft die Batterie des Pulsgenerators?
Die Batterie hält mindestens 3 Jahre, oft aber 5 Jahre und länger. Soll die Behandlung danach fortgesetzt werden, ist eine erneute Operation erforderlich, bei welcher der Pulsgenerator ausgetauscht wird.
Nach bisheriger Erfahrung ist diese Prozedur sehr sicher und risikoarm. Die meisten der Patienten (>85%), die über diesen Zeitraum behandelt wurden, wünschen eine Fortsetzung und lassen das Gerät erneuern.

Wirksamkeit
Am 16. Nov. 1988 wurde einem 37 Jahre alten amerikanischen Patienten mit einer seit 22 Jahren bestehenden Epilepsie der erste Vagusnerv – Stimulator implantiert. Das Verfahren wurde seither bei weit über 4.000 Patienten weltweit angewendet. In Deutschland wurden erstmals im Jahre 1992 einige wenige Patienten an der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn implantiert. Nach einigen Verbesserungen am Gerät wurde 1998 erneut begonnen, Patienten mit der Vagusnerv – Stimulation zu behandeln. In Bonn sind zur Zeit ca. 40 Patienten in Behandlung, in anderen deutschen Zentren (Berlin, Freiburg, Greifswald, Jena, Erlangen) nochmals weitere 30 Patienten (Stand Anfang 1999).

Welche Erfahrungen liegen bis heute mit dem neuen Behandlungsverfahren vor?
Die antiepileptische Wirkung wurde in mehreren kontrollierten, teils doppelblinden wissenschaftlichen Studien an mehreren Hundert Personen erprobt, bei denen durch Medikamente keine hinreichende Kontrolle der Anfallssituation erreichbar war und bei denen auch ein epilepsiechirurgischer Eingriff nicht in Frage kam. Zusammenfassend kann man derzeit feststellen, dass nur in  sehr wenigen Ausnahmefällen dauerhafte Anfallsfreiheit erzielt werden kann. Bei bis zu 50% der Patienten kann die Anfallshäufigkeit reduziert werden. Bei etwa 25-30% kann eine deutliche Verbesserung der Anfallssituation erreicht werden.  Bei ca. 50% der Patienten wird auch unter Vagusnerv – Stimulation keine Verbesserung der Anfallskontrolle erzielt. Diese Erfahrungen werden durch die ersten Berichte über Patienten bestätigt, die nicht im Rahmen wissenschaftlicher Studien ausgewählt, sondern im Rahmen einer allgemeinen klinischen Betreuung mit einem Vagusnerv – ­Stimulator versorgt wurden.

Wichtig
Die Wirkung der Behandlung kann abschließend erst 12-18 Monate nach Implantation beurteilt werden. Bisher ist nicht hinreichend bekannt, warum bei einzelnen Patienten eine gute Wirkung erzielt wird und bei anderen nicht. Im Einzelfall ist daher zur Zeit keine sichere Vorhersage des Behandlungserfolgs möglich. Teilweise unabhängig von einer Verbesserung der Anfallskontrolle berichten viele Patienten darüber hinaus,  dass ihre Anfälle weniger stark seien, dass sie mehr anfallsfreie Tage hintereinander hätten.  Wie  bereits oben erwähnt, entscheiden sich die meisten Patienten (>85%), bei denen nach mehrjähriger Behandlung die Batterie des Pulsgenerators verbraucht ist, für eine Fortsetzung, d.h. für den Austausch des Pulsgenerators im Rahmen einer erneuten Operation.

Wie wirkt sich die Vagusnerv – Stimulation auf Lebensqualität und geistige Leistungsfähigkeit aus?
In verschiedenen Studien wurde mitgeteilt, dass Patienten von einer erhöhten Lebensqualität unter Vagusnerv – Stimulation berichteten. Auch von allgemein erhöhter Wachheit wurde verschiedentlich berichtet. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung zur Vagusnerv – Stimulation erscheinen negative Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit, die im Alltag bedeutsam werden könnten, als sehr unwahrscheinlich. Die psychologischen Wirkungen der Stimulation des Gehirns über den Vagusnerven sind Gegenstand einer Studie, die seit Oktober 1998 in unserer Klinik durchgeführt wird. Die Betreuung der Patienten im Rahmen dieser Untersuchung umfasst die Selbstbeobachtung mit einem besonderen Patiententagebuch, die Bearbeitung von Fragebögen zur Lebensqualität sowie die regelmäßige Prüfung der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses durch eine neuropsychologische Testung. Die Patienten werden auf Wunsch ausführlich über die jeweiligen Ergebnisse informiert.

Presseinformation der Universitäts – Klinik BONN